Rust (Baden-Württemberg)

Datei:Rust in OG.svg  Rust ist eine von derzeit ca. 4.400 Personen bewohnte Kommune im äußersten Südwestteil des Ortenaukreises - südlich von Offenburg bzw. nördlich von Freiburg i. Brg. gelegen (Kartenskizze 'Ortenaukreis', Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Erste Hinweise auf jüdische Bewohner Rusts stammen aus dem ausgehenden 17.Jahrhundert; vermutlich siedelten sich die ersten Juden hier nach dem Dreißigjährigen Krieg an; erster namentlicher genannter ist der „Jude Samuel aus Rust“.

Im Jahre 1746 ist erstmals ein Betsaal erwähnt, der sich in einem Privathaus einer jüdischen Familie befand.

Aus dem Jahre 1768 stammt eine „Judenordnung“, die das Leben der Juden in Rust bis ins Detail regelte.

“ ... Befehlen hiemit Gnädigst Unserer Judenschaft zu Rust, zu Ihrer Stäter Verhaltung, Folgende Verordnung auf das Genaueste zu beachten, als Nemlich

§ 1   Sollen sie sich, außer dem gehorsam gegen uns Unßeren beamten Und Vorgesszten, Friedsam mit den Christen Verhalten, niemand ungerechterweise beleidigen, oder über vortheilen, Sondern Einem jeden das seinige Laßen und überhaupt Ein Ehrbares Und Stilles Leben führen.

§ 2 Sollen Sie sich in ansehung des umgangs mit Feuer und Licht, immer Unserer Feuerordnung, pünctlich Conformieren. Im übrigen in ihren wohnstätten aber, So wohl, als auch Vor derselben auf der gaßen Sich so viel Viel möglich der Reinlichkeit befleißigen. ...

§ 5 Ihre ohnverheurathete Kinder dörfen Sie wohl bey Sich behalten, die Verheuraatheten aber nicht Länger, ohne Sonderbare herrschaftliche Erlaubnis als zwey Monate. ...

§ 7 Ferner So wird denenselben hiemit alles tanzen, Spielen und Trinken mit denen Christen, bey fünff Gulden Straff untersaget.

 

1847 berichtete der Vorsteher der jüdischen Gemeinde über die Verhältnisse: „Unsere Gemeinde besteht aus 38 Familien, 30 davon sind ganz arm, die übrigen acht sind nur wenig vermögend, reiche hat es durchaus keine.” Ein Bericht von 1900 zählte für Rust 22 jüdische Haushalte auf: Danach gab es zwei Viehhändler, fünf Händler mit Zugvieh, sieben Landwirte und zwei Handwerker; fünf betrieben hauptberuflich und zwei nebenberuflich ein Warengeschäft; sieben Juden bestritten ihren Lebensunterhalt für ihre Familien als Hausierer.

Nachdem die alte Synagoge in der Klarastraße zu klein geworden war, entschloss sich die jüdische Gemeinde in den 1850er Jahren zum Bau eines neuen Gotteshauses; das Grundstück in der Ritterstraße war bereits 1835 erworben worden. Im September 1857 wurde der Neubau - nach Plänen des Freiburger Architekten Jakob Schneider - eingeweiht. Über dem Eingangsportal war die hebräische Inschrift zu lesen: „Hüte deinen Fuß, wenn du in das Haus Gottes gehst. Er ist nahe zu hören (Prediger 4,17)“. Aus der „Breisgauer Zeitung” vom 13.9.1857:

Am 4. dieses Monats feierte die israelitische Gemeinde Rust ein Fest, das in Ihrem Blatt erwähnt zu werden verdient.  Der beharrlichen Ausdauer und Kraftanstrengung der dortigen verhältnismäßig wenig bemittelten israelitischen Schutzbürger ist es nämlich ... gelungen, eine neue Synagoge zu erbauen, die im Verhältnisse zu ihrem Kostenaufwande sowohl vermöge ihrer äußeren Erscheinung als auch nach ihrer inneren Einrichtung als ein wahres Meisterstück der modernen Baukunst zu betrachten sein dürfte. Als nun dieser schöne Bau vollendet war, wurde auf den 4. dieses Monats nachmittags die feierliche Einweihung der Synagoge nach dem hierfür festgesetzten Festprogramme angeordnet und beim herrlichsten Wetter unter dem Zuströmen des Publikums aller Konfessionen aus nah und fern in bester Ordnung vollzogen. Wahrhaft erhebend war hierbei der Abschied aus der alten Synagoge und der Zug der festlich geschmückten Gemeinde sowie der dazu eingeladenen Großherzoglichen Bezirks- und Ortsbehörden und sonstigen geistlichen und weltlichen Honoratioren vor die Stufen der neuen Synagoge, ...

           

                                                     Synagogengebäude in Rust (Aufn. um 1960)                                                        Siegel der Kultusgemeinde

Zur Besorgung gemeindlicher Aufgaben war ein Lehrer angestellt, der neben der religiösen Unterweisung der Kinder zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Eine jüdische Elementarschule bestand ca. vier Jahrzehnte, nämlich von 1833 bis 1876.

Ihre Verstorbenen beerdigten die Ruster Juden auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Schmieheim.

   Friedhof Schmieheim (Aufn. F., 2005, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Die Gemeinde gehörte seit 1827 zum Rabbinatsbezirk Schmieheim, nach dessen Verlegung 1893 dann zum Rabbinatsbezirk Offenburg.

Juden in Rust:

         --- 1740 ............................  10 jüdische ‘Haushaltungen’,

    --- 1809 ............................   5 jüdische Familien,

    --- 1825 ............................ 150 Juden (ca. 9% d. Bevölk.),

    --- 1836 ............................ 198   “  ,

    --- 1852 ............................ 245   “   (ca. 13% d. Bevölk.),

    --- 1864 ............................ 219   “  ,

    --- 1875 ............................ 173   “   (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1880 ............................ 161   “  ,

    --- 1890 ............................ 111   “  ,

    --- 1900 ............................  66   “   (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1910 ............................  49   “  ,

    --- 1925 ............................  38   “  ,

    --- 1933 ............................  26   “  ,

    --- 1940 ............................   9   “  ,

             (Dez.) .....................   keine.

Angaben aus: Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim - Altdorf - Kippenheim - Schmieheim - Rust - Orschweier, Ettenheim 1988, S. 441

 

Die Zahl der Juden in Rust hatte sich bis zur NS-Machtübernahme 1933 drastisch reduziert; seit den 1860er Jahren waren vermehrt Juden in größere Städte abgewandert, da diese ihnen bessere ökonomische Perspektiven boten. Anfang des 1920er Jahre spielte die jüdische Bevölkerung im Wirtschaftsleben von Rust kaum mehr eine Rolle. Im Januar 1933 lebten nur noch 26 Juden in der Ortschaft. Da bereits Jahre zuvor in Rust kein Minjan mehr zustande kam, suchten die wenigen Juden nun die Synagoge in Altdorf auf.

Am 10.November 1938 zogen die Schüler der dortigen Volksschule auf Weisung ihres Lehrers zur Synagoge und zerstörten den Innenraum; äußerlich blieb das Gebäude vollständig erhalten. Die drei noch in Rust lebenden erwachsenen männlichen Juden wurden für sechs Wochen ins KZ Dachau verschleppt. Nach 1938 wurden die wenigen noch in Rust verbliebenen Juden zu Gemeindearbeiten herangezogen. Im Oktober 1940 gehörten die neun verbliebenen Ruster Juden dem Deportationstransport an, der ins südfranzösische Gurs führte.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden insgesamt 35 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bürger aus Rust Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/rust_synagoge.htm).

 

1944 wurde das Synagogengebäude durch Artilleriebeschuss schwer beschädigt; nach dem Kriege wurde die Synagogenruine verkauft. Da aber eine Nutzung als Lagerhaus nicht möglich war, wurde das Gebäude 1964/1965 abgerissen und das Grundstück anschließend neu überbaut.

 Dreiecksgiebel vom ehem. Thoraschrein mit der Inschrift: "Gedenket der Lehre meines Knechtes Moses, die ich ihm am Horeb (Sinai) aufgetragen habe" (Maleachi 3,22)

Am ehemaligen Standort der Ruster Synagoge befindet sich eine Gedenktafel mit folgender Inschrift:

Hier stand die Synagoge der Israelitischen Gemeinde Rust.

Sie wurde am 10.November 1938

unter der Herrschaft der Gewalt und des Unrechts geschändet und 1944 durch Kriegseinwirkung zerstört.

Die Portale der Synagoge bilden hier seitdem eine kleine Gedenkstätte.

                                     Gedenkstätte (Aufn. J. Hahn, 2005)

Das Gebäude in der Klarastraße, in dem sich bis gegen Mitte des 19.Jahrhunderts die alte Synagoge befunden hat, soll nach dem Willen der Kommune künftig ein ortskundliches Museum beherbergen.

Gedenkstein in Rust Im Rahmen des landesweiten ökumenischen Mahnmal-Projektes entwarfen Schüler/innen der Hauptschule Rust ein aus neun Betonsteinen mit jüdischen Symbolen versehenes „Objekt“; die drei hintereinander angeordneten Bögen sollen das Portal der Ruster Synagoge darstellen (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).

 

 

 

Weitere Informationen:

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 249/250

Karl-Heinz Debacher, Geschichte der jüdischen Gemeinde Rust, in: Historischer Verein für Mittelbaden e.V. (Hrg.), Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim - Altdorf - Kippenheim - Schmieheim - Rust - Orschweier, Ettenheim 1988, S. 399 ff.

Dieter Weis, Synagogen im ehemaligen Amtsbezirk Ettenheim: Ettenheim, Altdorf, Kippenheim, Schmieheim und Rust, in: Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden 1938 - 1988, Ettenheim 1988, S. 68 - 157

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 415/416

Karl-Heinz Debacher, Die Juden und die reichsritterschaftlichen Herren „Böcklin von Böcklinsau“ in Rust, in: "Die Ortenau", 69/1989, S. 477 ff.

Karl-Heinz Debacher, Jüdische Gemeinde in Rust, in: Rust – Städtebilder und Gemeindeportraits, Sonderbeilage der "Lahrer Zeitung", Folge 30/1990

Karl-Heinz Debacher, Jüdischer Exodus aus dem Rheindorf Rust, in: "Der Altvater – Heimatblätter der Lahrer Zeitung", No.48/1990, No. 3

Karl-Heinz Debacher, In einem feuchten Raum. Die Geschichte der Rüster Judenschule, in: "Der Altvater – Heimatblätter der Lahrer Zeitung", No.50/1992, No. 13

Rust, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Karl-Heinz Debacher, Trümmer - Das Schicksal der ehemaligen Synagoge in Rust, in: "Geroldsecker Land", 42/2000, S. 81 f.

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 410 – 413

Peter Künzel, Sainte Radegonde - Traum und Tragik der jüdischen Familie Abraham aus Baden: Rust – Freiburg – Saumur – Auschwitz 1900 – 1950, Hartung & Gorre-Verlag, Konstanz 2008

Christiane Twiehaus, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, in: "Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg", Heidelberg 2012, S. 29 - 31

Klaus Fischer (Red.), Erinnerungen an die alte Synagoge, in: „Badische Zeitung“ vom 23.7.2022